Können Sie sich vorstellen, dass in österreichischen Fußballstadien am "Welttag des Buches" dichterische Werke in Mundart präsentiert werden? Im Camp nou-Stadion des FC Barcelona gab es das: dort lasen Mitte April elf Schriftsteller ihre "Sporttexte" – vor 60.000 Zuhörern auf den Rängen. Am "Welttag des Buches" schenken sich die Katalanen aber nicht nur Bücher, sondern auch Rosen, denn am 23. April feiert Katalonien seinen Schutzpatron "Sant-Jordi". Seit dem Hochmittelalter, als man den hl. Georg zum Schutz im Kampf gegen die Mauren anrief, ist dessen Gedenktag ein Nationalfeiertag.
Der "Sant-Jordi-Tag" muss allerdings inoffiziell gefeiert werden, was dazu führt, dass er zu einem Megaspektakel des Katalanentums wird. Der "Welttag des Buches" passt besonders gut zu dem patriotischen Fest, da seine Entstehungsgeschichte in besonderer Weise mit der katalanischen Sprache und Identität verbunden ist. Man könnte sogar behaupten, dass der Kulturförderungsgedanke dieses "Welttages" eine katalanische Erfindung ist.
Blumen- und Dichterspiele
Zwar haben sowohl Großbritannien als auch Spanien diesen Gedenktag zu Beginn des 20. Jahrhunderts eingeführt, seine Wurzeln reichen jedoch ins Goldene Zeitalter katalanischer Königreiche zurück. Schon 1359, als König Joan I. "Jocs Florals" (Blumen- bzw. Dichterspiele) einführte, veranschaulichte das in der Landessprache vollzogene Einüben der Liebe zu Schöpfer, Vaterland und Minnefrau das hohe Selbstbewusstsein einer breiten Elite. Seit jeher waren die "Jocs Florals" mit dem Dauerkonflikt zwischen kastilisch-hispanisierendem Zentralismus und katalanischem Eigenständigkeitsbeharren verknüpft. Mit diesen Spielen sollte die kulturelle Vorrangstellung Kataloniens auf der iberischen Halbinsel manifestiert werden.
Als im 16. Jahrhundert die politische Macht verloren ging, standen die Spiele nunmehr im Zeichen der Pflege des von den jeweiligen madrilenischen Machthabern (bis 1978!) verbotenen Katalan . Die – der Romantik vergleichbare – Bewegung der katalanischen "Renaixença" verlieh den Spielen 1859 ihre moderne Gestalt. Noch heute werden in allen Bildungseinrichtungen "Jocs Florals" abgehalten, bei denen das jeweils beste katalanische Gedicht in den Sparten Vaterland, Glaube und Liebe mit einer Rose prämiert wird.
Die Diskussionen über regionale Autonomie und Zentralismus, über Selbstdefinitionen (katalanisch oder doch spanisch?) erreichten am heurigen "Sant-Jordi"-Tag einen neuen Höhepunkt. Spanien und seine 17 autonomen Regionen müssen sich im Zuge der neuen EU-Verfassung nämlich neu definieren. Nun muss das in eine Form gebracht werden, was sich in den letzten 27 Jahren spanischer Demokratie in einem mentalen und verwaltungstechnischen Veränderungsprozess herausgebildet hat. Dies setzt die Erarbeitung eines von Grunde auf neuen katalanischen Autonomiestatuts voraus.
Während in dem von der "Generalitat" (katalanische Regierung) noch in diesem Frühjahr abzusegnenden Paragraphenwerk vor allem Finanzangelegenheiten geregelt werden, beschäftigt sich die Bevölkerung mit den kulturellen Aspekten ihrer Identität. So wurde etwa die Tatsache beklagt, dass die Stadtverwaltung Barcelonas zu "Sant-Jordi" Bücher auf Kastilisch statt auf Katalan verschenkte. Viele katalanische Schriftsteller griffen in einem Manifest mit dem Titel "Wie der Drache den hl. Georg auffrisst" die massenmediale Propagierung kastilischsprachiger Buchtitel an. Gegen Spanisch mit seinen weltweit 550 Millionen Sprechern und entsprechender Marktmacht nehmen sich die sieben Millionen Katalan-Sprecher halt doch nur wie eine verschwindende Minderheit aus.
Kuh und Esel statt Stier
Auch Autofahrer versuchen, gegen die hispanische Vereinnahmung im Kleinen anzukämpfen. Sie schmücken ihre Vehikel mit Esel-Aufklebern. Begonnen hat alles mit einer Performance. Der katalanische Maler Ramón Enrich übermalte 1996 eine Stier-Plakatsilhoutte mit einer freundlichen Kuh. Die für die Sherry-Marke "Osborne" werbenden Tafeln mit einem Stier darauf waren zu einem (sogar höchstgerichtlich) bestätigten Teil spanischer Kultur geworden. Nun lautete die Devise: Weg vom Emblem eines als kolonialistisch verstandenen Spanien, hin zu dem eines bodenständig-regionalen, multiethnischen Iberien!
Vor zwei Jahren entwarfen zwei findige katalanische Jungdesigner ein Esel-Emblem als Gegenstück zum spanischen Stier. Innerhalb kurzer Zeit fand sich dieses Symbol auf Autoaufklebern, Stickern und als Handy-Bild wieder, und es wird bereits wie der "Osborne-Stier" als Kultobjekt gehandelt. Warum wurde gerade ein Esel zum Symbol des katalanischen Selbstverständnisses? Vertreter eines eher orthodoxen Spanien-Begriffs spötteln gerne über die verspätete Selbsterkenntnis des Brudervolkes: Endlich hätte es sich damit abgefunden, der fleißig-dumme Esel des Gesamtstaates zu sein. Die Katalanen, die 27% der spanischen Gesamtbevölkerung ausmachen, erwirtschaften 33% des BIP und zahlen mit ihren Steuern mehr in die Gemeinschaftskasse ein, als sie zurückbekommen.
Doch was heißt dummer Esel! Die katalanische Rieseneselrasse "el guarà" ist aufgrund ihrer Robustheit eine zoologische Kostbarkeit und international sehr gefragt. Um sie vor dem Aussterben zu bewahren, begann man in den 80er Jahren ein ehrgeiziges Schutz- und Zuchtprojekt. Mittlerweile gibt es wieder 340 reinrassige Riesenesel.
Während die realen katalanischen Totemtiere mit Nachwuchsproblemen zu kämpfen haben, erweist sich deren symbolische Nutzung als durchaus fruchtbar. Das Esel-Logo wird mit unterschiedlichen Bedeutungen versehen und provoziert Reaktionen auf verschiedenen Ebenen. Neben Stier und Esel erblickt man auch immer häufiger Katzen und Schafe. Besonders die Katze gilt als kosmopolitische Alternative zum Esel. Ihre Bedeutung leitet sich von der umstrittenen Frage ab, ob das Aufkleben des Kürzels "CAT" auf blauem Grund anstatt des offiziellen "E" gestattet werden soll.
Am deutlichsten tritt der Symbolstreit in einer inzwischen ebenfalls auf vielen Plakaten abgebildeten Kopulationsszene mit Esel und Stier zutage: Sieht man von einer defäitistischen Lesart ab, kann in der Szene auch der Wunsch erblickt werden, den ständigen Konflikt zwischen Identitätsideal und politischer Realität damit zu beenden, dass schließlich neue Kreaturen entstehen. Immer mehr Menschen versuchen daher mit immer neuen Wahltieren den dualen Zuschreibungen zu entfliehen.
Drei Viertel bilingual
Der Anteil der spanisch sprechenden Bürger Barcelonas macht – aufgrund der Arbeitsmigration in den 50er und 60er Jahren – heute fast 55% aus. Andererseits definieren sich bei Umfragen drei Viertel der Befragten als "katalanisch" oder zumindest "gleich spanisch wie katalanisch". Das entspricht der Zahl jener, die bilingual leben. Neben der favorisierten spanisch-katalanischen Staatsbürgerschaft können sich die Katalanen in fast gleichem Ausmaß auch eine Art europäische Staatsbürgerschaft vorstellen. Bei aller Kritik an der EU und ihrem Zentralismus sehen die Katalanen in Brüssel doch auch eine Hoffnung für die Institutionalisierung von Autonomiebestrebungen. So schloss sich Katalonien 2001 mit Bayern, Flandern, Nordrhein-Westfalen, Schottland, Salzburg und Wales zu einer Art EU-Vorkämpfertruppe in Sachen Regionalismus zusammen.
Dass Katalonien zu einem Vorzeige-Autonomiemodell wurde, das als Vergleichsgröße beim Studium außereuropäischer multikultureller Konflikregionen dient, ist das Ergebnis einer ausgewogenen Autonomiepolitik, für die seit den ersten katalanischen Autonomiewahlen 1980 die 24-jährige Alleinherrschaft des Präsidenten Jordi Pujol verantwortlich ist. Pujol erinnert ein wenig an den ehemaligen großkoalitionären österreichischen Bundeskanzler Vranitzky: ein Banker wie dieser, war Pujol in einem ähnlich von Kompromissen geprägten Umfeld vor allem die wirtschaftlich-finanzielle Absicherung der katalanischen "Staatswerdung" wichtig.
Pujols Slogan "fer país" (Land machen) stand im Verein mit dem Konzept eines "moderaten Nationalismus", der alle in Katalonien lebenden Bürger als "Katalanen" betrachten und vertreten wollte. Unter seiner Ägide verbreiterte sich sowohl die finanzielle Basis der autonomiepolitischen Projekte als auch die Liste der legislativen wie exekutiven Kompetenzen, die auf die Autonomieregierung übergingen.
Zu Beginn der spanischen Demokratie sah es allerdings gar nicht danach aus. Unter Rücksicht auf zentralistische Kräfte in beiden Großparteien sowie von Franquo geprägte Militärs, die 1981 den Transformationsprozess rückgängig machen wollten, fielen Bundesverfassung und Autonomiestatut in puncto regionaler Selbstverwaltung sehr mager aus. Zwar gestand man allen Ethnien mit eigenständiger Sprache und Kultur – wie Basken, Galiziern und Katalanen – zu, "historische Nationalitäten" zu sein, doch lediglich dem Baskenland und Navarra wurden die fiskalische Oberhoheit gewährt. Katalonien stand mit allen restlichen Regionen unter dem direkten fiskal- und finanzpolitischen Zugriff Madrids.
Willen zum Föderalismus
Sprachpolitische Maßnahmen, wie etwa das erste katalanische Sprachengesetz von 1983, wurden von der spanischen Regierung bekämpft und konnten erst nach jahrelangem Rechtsstreit durchgesetzt werden. Letzte substanzielle Änderungen traten 2002 in Kraft und überließen der katalanischen "Generalitat" die Hoheit über einen Großteil der Steuern sowie die vollständige Verwaltung der Agenden Bildung, Gesundheit und Polizei.
Seit der Wende von 2004, als die Sozialdemokraten sowohl in der spanischen Zentralregierung als auch in der "Generalitat" an die Macht kamen, bekunden beide Seiten den Willen, den Föderalismus zu vertiefen. Diese für die Sozialdemokraten historische Kehrtwende in Sachen Föderalismus ist auch darauf zurückzuführen, dass sie in Katalonien lediglich mit Unterstützung der stark nationalistisch gesinnten katalanischen "Grünen" und "Republikaner" an die Macht kamen. Daher sind Forderungen, wie jene nach Referenden oder Katalan als einziger Amtssprache noch lange nicht vom Tisch.
Allioli
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